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Schwefel im Wein

Ein Blick auf den aktuellen Stand des Wissens

Das Aufkommen, bzw. Wiederentdecken von Naturwein / Naturals / Vin vivants und die starken Sichtweisen - die dafür oder dagegen sprechen - haben endlose Auseinandersetzungen über Sulfitzusätze und ihre Auswirkungen auf den Wein ausgelöst.

 

Es ist meist eine emotional geladene Frage der Ideologie, mehr als rational hergeleitetes Wissen, die in solchen Diskussionen verhärtete Fronten schafft und nicht selten dazu führt, dass es aus dem Ruder läuft.

Um der Wahrheit etwas näher zu kommen und Streitigkeiten ggf. beilegen zu können, kann sich die Chemie möglicherweise als nützlich erweisen. Deshalb habe ich mich unter anderem einmal mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft in diesem Zusammenhang beschäftigt.

 

Enthält jeder Wein Sulfite?

Ja. Jeder Wein enthält Sulfite. Auch wenn auf eine Zugabe von Schwefel vom Winzer verzichtet wird, enthält der Wein trotzdem Schwefeldioxid, wie Sulfit auch genannt wird. Das liegt daran, dass SO2 (die chemische Formel von Schwefeldioxid) in den Traubenkernen als natürliches Antioxidant eingelagert ist und es sich auch als Nebenprodukt der alkoholischen Gärung bildet. Wein ganz ohne Sulfite gibt es also nicht. Jedoch macht ja, wie bekannt, die Menge das Gift. Also was ist dran am Schwefel?


Ganz allgemein: Schwefel ist Standard!

Seit über 2000 Jahren. Denn schon die alten Griechen nutzten die gelben Schwefelbrocken um Gefäße vorzubereiten und ihren Weinen ein längeres Leben zu verleihen. Traditionell wird Schwefeldioxid (SO2 / Sulfit) als relativ harmloses Konservierungsmittel angesehen, das hauptsächlich als Barriere gegen Oxidation und unerwünschte Bakterien wirkt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen jedoch zunehmend, dass Sulfite eine ganze Bandbreite sehr unterschiedlicher Auswirkungen haben und neben den Aromen auch das Mundgefühl, die Struktur und die Entwicklung des Weins im Keller als auch auf der Flasche beeinflussen.

Während SO2 auf die in traditioneller Sicht vorgebrachten Weisen wirksam ist, leistet es vor allem in den frühen Stadien der Weinbereitung noch viel mehr als Schutz vor Oxidation. Denn es ist Teil zahlreicher Reaktionen und Umwandlungsprozesse. Nicht verwunderlich, weiß man das Schwefel - mit sechs Valenzelektronen ausgerüstet - ein hochreaktives Element ist. Dementsprechend weitreichend ist der Beitrag zur Gesamtkomposition und dem chemischen Fingerabdruck.

 

Deutsche Paradewinzer, wie Klaus-Peter Keller, oder Moritz Haidle sehen die Diskussion über Schwefel eher kritisch. Sie arbeiten nach dem Grundsatz: So wenig wie möglich, soviel wie nötig. Und das ist in der Regel weit unter dem für das Bio-Siegel erlaubte Höchstmaß von 90mg Gesamtschwefel pro Liter.

Häufig wird Schwefel auch als stilbildendes Element eingesetzt. In Kombination von recht hohen Schwefelgaben und einem reduktiven Ausbau ergeben sich besondere Aromen und eine äußerst straffe Struktur, die u.a. Winzer wie JJ Prüm, oder Roulot zu Weltruhm gebracht haben.

 

Was verändert Schwefel im Wein denn genau?

Alles! Über die vielfältigen Auswirkungen von Schwefel in der Weinchemie werden sich Wissenschaftler und Winzer immer bewusster. Pierre Frick zum Beispiel, der seit Mitte der 80er bei seinen Weinen des gleichnamigen Weinguts im Elsass mit Schwefel experimentiert. Mittlerweile verzichtet er nach Möglichkeit komplett auf Schwefelzugaben, da es die Weine, nach seiner Aussage, in ein Korsett zwängt und ihnen damit die natürliche Schönheit genommen wird. Oder auch Régis Gougeon. Er ist Professor für Önologie an der Universität von Burgund in Dijon, Frankreich, und beschäftigt sich seit mehr als einem Jahrzehnt wissenschaftlich mit der Thematik.

 

Er und seine Kollegen haben im Dezember 2017 eine bedeutende Studie veröffentlicht, die bestätigt, dass sich mit der Änderung oder der Eliminierung von Sulfitzusätzen die organoleptischen Eigenschaften des Weins und sein gesamtes, chemisches Profil ändert. Viele Praktiker wissen dies schon lange, aber diese Studie bringt weitere Beweise:

  • Phenolische Verbindungen wie Tannine und Anthocyane werden durch SO2 verändert - die Art und Weise, wie sie sich auf molekularer Ebene verbinden ist ganz anders. Wie genau wird aber noch nicht vollständig verstanden.
     
  • Die Art und Dominanz von aromatischen Komponenten wie Estern und Thiolen

    In Sauvignon Blanc beispielsweise begünstigen größere Sulfitzusätze die Anwesenheit von Thiolen, Verbindungen auf Schwefelbasis, die Aromen wie Grapefruit und Passionsfrucht liefern. Insbesondere dann, wenn die Weine reduktiv (mit sehr geringem Sauerstoffkontakt) ausgebaut werden - wie in Edelstahltanks. Die Weinbereitung und die Reifung in Fässern ohne oder mit nur geringem Zusatz von Schwefel verringern dagegen die Anwesenheit dieser Thiole erheblich und führen zu einer Reihe von Aromen, die eher mineralische, zitrische oder tropische Noten annehmen.
     
  • Aldehyde, die mit dem Auftreten eines oxidativen Aromaprofils, wie z.B. bei Sherry, zusammenhängen werden von SO2 gebunden. Aldehyde sind allerdings nicht nur für Aromabildung relevant, sondern in Form von Acet-Aldehyd ist es dieser Stoff, dem wir den dicken Kopf am nächsten Tag zu verdanken haben.

 

  • Aminosäuren und Peptide, die an der Entwicklung verschiedener Polyphenole und aromatischer Verbindungen beteiligt sind
     
  • Schwefelwasserstoffe (H2S), die reduktive Aromen wie faules Ei, Knoblauch oder Zwiebel und verschiedene Polysulfide produzieren können.
     
  • Fuselalkohole, die durch ungesundes Lesegut, unsauberem Arbeiten bei der Lese und im Keller oder bei einer suboptimalen Gärführung entstehen können werden von Schwefel gebunden. Somit wird eine Verdampfung verhindert. Diese unerwünschten Fuselalkohole verbleiben im Wein und schäppern im Schädel am nächsten Tag.
     
  • In Kombination von SO2 mit Sauerstoff und / oder Acetaldehyd werden auch die Farbe und das Mundgefühl beeinflusst.

 

Die Art und Weise, wie Schwefel im Wein vorhanden ist - ob in diesen verschiedenen Verbindungen gebunden oder als freies SO2 verfügbar -, beeinflusst auch die Art und Weise, wie sich die  chemischen Reaktionen während und nach der Vinifizierung entwickeln.

 

Die Auswirkungen von sulfitbezogenen Entscheidungen sind nicht nur weitreichend, sondern sie halten auch lange an. Laut Prof. Gougeon haben insbesondere die zu Beginn des Weinwerdungs-Prozesses getroffenen Entscheidungen bezüglich des Sulfit-Einsatzes große Folgen, denn sie führen zu einem völlig anderen molekularen Fingerabdruck im Wein und zu sehr unterschiedlichen Verläufen der Entwicklung des Weins in der Flasche.

 

Weine, bei denen oxidative Prozesse bereits zu Beginn der Weinwerdung stattgefunden haben bilden einen größeren Pool von Antioxidantien, als Weine denen schon in frühem Stadium SO2 zugesetzt wurde. Je früher Sulfite zugesetzt werden, desto mehr Schwefel verbleibt im Wein. “Es ist nicht nur so, dass eine höhere Konzentration im Wein verbleibt, sondern auch, dass das SO2 länger verweilt, weil es stärker an den Wein gebunden ist. Und es gibt laut Gougeon eine Art „Suchtprozess bei der Arbeit". „Sobald Sie mit der Zugabe von SO2 beginnen, müssen Sie häufig Weiteres hinzufügen.“ Andernfalls wird der Schwefel abgebaut und die Barriere gegen Oxidation geschwächt. Der Wein oxidiert schneller. Ganz ähnlich wie bei unserem Immunsystem. Fängt man als Kind in überhygienischem Umfeld an, kommt der Körper später nicht so gut auf die Belastungen klar. Fressen wir in Kindertagen genug Dreck, werden wir im Erwachsenenalter weniger krank und entwickeln weniger Allergien.

 

Wie wirken sich Sulfite auf die Gesundheit aus?

Schwefel ist ein Element, dass für den Menschen lebenswichtig ist. Es muss mit der Nahrung aufgenommen werden und ist an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt.

Es treten bei ca. 5% der europäischen Bevölkerung jedoch Unverträglichkeiten auf. Diese zeigen sich in unterschiedlichsten Formen, von Migräne, über Auschläge bis zu Asthma. Weitere Informationen hierzu findest du im Artikel Wein und Gesundheit.

 

Bei anderen Leuten, besonders erfahrenen Weintrinkern, die sich intensiver mit der Thematik befassen wirkt sich Schwefel vor allem auf das Trinkvergnügen aus. Stark geschwefelte Weine weisen ein als eher kratzig beschriebenes Mundgefühl auf. Die Wahrnehmungsschwellen sind hier aber von Person zu Person gänzlich unterschiedlich.

 

Ganz uneigennützig darf ich dir als Interessiertem die Artikel Wein und Gesundheit  | Wein und geistige Gesundheit  empfehlen.

 

Wie untersucht man die Auswirkungen von Schwefel auf Wein überhaupt?

Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben Forscher eine neue Untersuchungsmethode namens Metabolomik angewendet, um mehr über die Auswirkungen von Schwefel auf Weine zu erfahren. Die Metabolomik, eigentlich für die Untersuchung von Zellen erfunden, kombiniert verschiedene Analysemethoden wie Gaschromatographie und Massenspektrometrie. Dadurch kann eine umfassende Karte der chemischen Landschaft einer bestimmten Substanz erstellt werden. Während die chemische Analyse am häufigsten auf bestimmte Verbindungen abzielt, versucht die Metabolomik, jedes bekannte oder unbekannte Molekül zu zeigen, um ein vollständiges Bild eines bestimmten Weins zu erhalten. Wenn ein Forscher diese Analyse vor und nach der Einwirkung von Oxidation oder Sulfitzusätzen auf einen Stoff durchführt, können mit diesem nicht zielgerichteten, weitreichenden Ansatz alle Änderungen des chemischen Fingerabdrucks des Stoffes sichtbar gemacht werden.

 

Warum wird zum Schwefeldioxid-Einsatz geforscht?

Gougeon glaubt, dass ein besseres Verständnis der Auswirkungen von Schwefel auf den Weinstil die Winzer zu weniger dogmatischen Ansätzen beim Sulfitmanagement führen könnte. „In einigen Jahrgängen möchten Sie möglicherweise am Anfang Sulfite verwenden, in anderen am Ende des Prozesses“, sagt er. „Was uns derzeit fehlt, sind zuverlässige Indikatoren, die den Winzern Aufschluss darüber geben, welche Weine ohne Schwefel hergestellt werden können und welche etwas SO2 benötigen. Es wäre besser, Marker für die potenzielle Stabilität der Weine zu verwenden, als zuvor festgelegte, einheitliche Protokolle.“

 

Wieviel Schwefel ist im Wein erlaubt?

Die zulässige Gesamtmenge an Schwefel ist sehr unterschiedlich, je nach Anbauland, Weinstil und Bewirtschaftungsart. Für einen Biowein gelten andere Grenzwerte als für Weine aus konventionellem Anbau. 

 

In Europa gelten seit dem 01.08.2009 folgende SO2-Höchstgrenzen:

Quelle: Kellerwirtschaftlicher Informations-Service (KIS) – Achtung: Der Link geht direkt zum Download der .pdf-Datei des Landes Rheinland-Pfalz

Wie bleibt ein Wein auch ohne Schwefel stabil?

Etwas Schwefel ist immer im Wein vorhanden, denn schwefelhaltige Verbindungen treten als Nebenprodukt der alkoholischen Gärung auf. Die mir bekannten Indikatoren für die allgemeine Stabilität von Wein sind pH-Wert, Gesamtsäureanteil, das vorhanden-sein /bzw. die Freiheit von Restzucker, der Gerbstoffgehalt, die malolaktische Gärung und das Hefelager.

 

Umso geringer pH-Wert und Restzucker und umso höher Säure- und Gerbstoffgehalt, desto eher kann auf extensive Schwefelgaben verzichtet werden. Um den Wein mikrobakteriell stabil zu halten, sollte der Wein am besten auch schon im Fass den biologischen Säureabbau durchlaufen haben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass nach der Abfüllung Milchsäurebakterien in der Flasche wieder anfangen zu arbeiten.

 

Durch eine differnzierte Betrachtung dieser Indikatoren, könnten zukünftige Entscheidungen von Winzern und Kellermeistern über Sulfitzusätze effektiver und pragmatischer werden - und weniger über Ideologie oder modische Ideen gesteuert sein.

 

Sprich mehr lebendige Weine. Tieferes Bewusstsein. Weniger gesundheitliche Auswirkungen.

 

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